Liebe Gemeinde,

„Ich lebe mein Leben

in wachsenden Ringen

die sich über die Dinge zieh`n

Ich werde den letzten

vielleicht nicht vollbringen

aber versuchen will ich ihn.“

So sagt es Rainer Maria Rilke in seinem Gedicht „Ich lebe mein Leben“.

Alter und Klimawerte sind an einer Baum-Scheibe abzulesen: Die Anzahl der Ringe zeigt das Alter des Baumes an.

Ring zieht sich um Ring, dickere, dünnere – so sind die Bedingungen zu sehen, unter denen ein Baum gelebt hat.

Das Wachsen eines Baumes als Bild für unser Leben:

Auch wir leben in wachsenden Ringen. Jahr um Jahr leben wir. So wie sich Kreis um Kreis an den Stamm eines Baumes legt, so ziehen auch wir unsere Kreise, gehen unseren Weg.

Die meisten von uns haben schon zahlreiche Kreise gezogen in ihrem Leben: Aktiv in einen Beruf gearbeitet, eine Familie gegründet, Hobbys gewählt, in den Ruhestand gegangen, entschieden hier zu leben.

Viele Entscheidungen in Leben können wir dabei aktiv treffen, da bestimmen wir selbst, in welche Richtung es gehen soll. Allerdings:

Vieles im Leben haben wir nicht nur selbst in der Hand, können es nicht nur selbst herstellen oder machen: Finde ich Freunde, Partnerschaft, Familie, Miteinander, Erfüllung. Auch wenn wir uns darum bemühen können und natürlich unseren Teil dazu beitragen können. Aber alles liegt nicht in unserer Hand. Vieles wird uns geschenkt, wächst uns zu, ereignet sich unverhofft und manchmal gelingt etwas auch unverdient.

So wie das auch bei einer Baumscheibe erkenntlich ist. Der Baum und seine Jahresringe sind auch von der Witterung abhängig, von seinem Standort. Bekommt er genügend Wasser, Sonne, Nährstoffe, Luft?

So vieles wir auch entscheiden oder bestimmen können in unseren Leben: Wir haben nicht alles in der Hand, wir können nicht alles frei entscheiden. Manchmal oder vielleicht sogar oft –das wird jeder anders empfinden – da wird für uns entschieden, das müssen wir mit dem zurechtkommen und uns arrangieren, was vor die Füße gelegt wird:

Mit der Krankheit, mit der ich hadere, der gescheiterten Beziehung oder der aussichtslosen Liebe, mit Schwierigkeiten im Beruf oder in der Familie.

Wir alle leben unser Leben und wir werden gelebt.

Aber vielleicht haben wir bei alledem auch viel öfter als wir meinen, mehr Wahl, als wir denken. Denn wir können unser Verhalten verändern. Die einen können versuchen, andere mehr der öfter zu verstehen, ihnen zuhören, die Unterschiedlichkeit nicht als Problem, sondern als Reichtum zu sehen. Andere wiederum müssten vielleicht anfangen, sich selbst deutlicher zu vertreten und aufhören, die Konfrontation zu scheuen und sich selbst ernster nehmen. Das kann nur jeder selbst einschätzen, wo Veränderung gut oder auch Not tut. Auf alle Fälle haben wir selbst bei all dem, das wir meinen, nicht ändern zu können, noch die Wahl, unsere innere und äußere Haltung zu den Umständen das Lebens zu wählen. Diese Freiheit bleibt immer.

In der Bibel wird der Mensch und sein Leben mit einem Baum verglichen. Dort heißt es:

„Gesegnet aber ist der Mensch, der sich auf den Herrn verlässt und dessen Zuversicht der Herr ist. Der ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt, der seine Wurzeln zum Bach hin streckt. Denn obgleich die Hitze kommt, fürchtet er sich doch nicht, sondern seine Blätter bleiben grün; und er sorgt sich nicht, wenn ein dürres Jahr kommt, sondern bringt ohne Aufhören Früchte.“

 

Wir Menschen werden von Gott gesehen und bei ihm muss uns das „gelebt werden“ auch keine Angst machen: Wir sind Kinder Gottes, Gottes Lieblingsgedanken.

Wir leben unser Leben in wachsenden Ringen und es ist gut, denn:

in all dem bin ich in Gottes Hand geborgen,

in all dem was in unserem Leben da ist,

in den Nächten der Einsamkeit,

in den Nächten der Sehnsucht,

in den Nächten des Zweifels,

da hält uns Gott.

Genauso

in den Zeiten des Glücks,

in den Zeiten der Freude und des Lachens,

in den Zeiten des Erfolgs und der Sicherheit,

ist Gott an unserer Seite.

 

Der Sommer ist eine gute Zeit, sich dieses Bild immer wieder vor Augen zu halten: Leben wächst in ganz unterschiedlichen Ringen und es ist dabei immer – so oder so - gehalten von Gott.

 

Eine gesegnete Sommerzeit wünschen Ihnen Ihr

 

Pfarrer Dr. Martin Weber und Pfarrerin Sabine Arzberger